Habbel GmbH

Habbel Logo horizontal

Demografie: „Und plötzlich wollten sie hier im Ort bleiben“

Kanzleramtsminister Peter Altmaier hielt die Keynote auf dem Bundeskongress der KPV in Chemnitz (Foto.Habbel)
Kanzleramtsminister Peter Altmaier hielt die Keynote auf dem Bundeskongress der KPV in Chemnitz (Foto.Habbel)

Nicht vom grünen Tisch der Ministerien kann der demografische Wandel gestaltet werden, sondern vor Ort mit Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen, Wirtschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen gemeinsam. Deutlich wurde dies auf dem Bundeskongress der KPV im sächsischen Chemnitz.
Der Bautzener Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Christian Schramm, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus und Heribert Gisch, Geschäftsführer des Entsorgungsverbandes Saar diskutierten unter Moderation der Bürgermeisterin und stellv. Bundesvorsitzenden der KPV, Kerstin Hoppe, neue Strategien für Stadt und Land.

Einigkeit in der Anlayse

Neben der Energiewende und der Staatsverschuldung ist der demographische Wandel die größte Herausforderung der Politik und der Gesellschaft in den nächsten Jahren.
Er hat Auswirkungen auf nahezu alle Politikbereiche einer Stadt und ist längst keine Frage mehr, die sich bloß auf die Sparten Senioren- oder Familienpolitik beschränkt.
Niemand zieht in Städte und Gemeinden, in denen die Schulen und Kindergärten schließen müssen, kulturelle Angebote und Freizeitmöglichkeiten fehlen und der Einzelhandel sich zurückzieht.
Die Menschen werden alle älter, bunter und die Bevölkerung schrumpft. Dieser Prozess ist unumkehrbar und muss gestaltet werden.
Die Auswirkungen des demographischen Wandels werden am intensivsten die Menschen in den Kommunen spüren. Die Auswirkungen werden allerdings höchst unterschiedlich sein. Es gibt in Deutschland schrumpfende und wachsende Regionen bzw. Städte. Auf der anderen Seite gibt es Wanderungsbewegungen innerhalb des Landes, die die Lage noch verschärfen.

Chancen erkennen

Klar ist aber auch, dass eine solche schwerwiegende Veränderung auch Chancen mit sich bringt, wie das Zusammenleben verbessert werden kann. Die Veränderungen unserer Kommunen werden wir nur bewältigen, wenn wir verstärkt auf die Einsatzbereitschaft und die Fähigkeiten der Bürgerinnen und Bürger setzen. Denn ehrenamtliches Engagement und die Rückbesinnung auf gemeinschaftliche Werte sind zentrale Baustein des Bürgerstaates der Zukunft.
Die engagierte Diskussion auf dem Bundeskongress der KPV machte deutlich, dass es kein Patentrezept für den demografischen Wandel gibt. Sowohl die Ausgangslagen als auch die Möglichkeiten der Bewältigung sind höchst unterschiedlich. Notwendig ist eine Betrachtung auf kleinräumiger bzw. städtisch-gemeindlicher Ebene, hier ergeben sich Handlungsspielräume, die aber auch mutig genutzt werden müs-sen. So kann bereits ein singuläres Ereignis, wie z.B. eine Walddorfschule, eine Veränderung der Familien- und damit Wohnstruktur in einer Kleinstadt auslösen. Die Faktoren sind vielschichtig. Bezahlbares Wohneigentum gepaart mit attraktiven Arbeitszeitmodellen wie z.B. eine Vier-Tage Woche wie bei BASF, können gerade kleinere Gemeinden vitalisieren und ihnen eine Zukunft geben. „Und plötzlich wollten sie hier im Ort bleiben“, sagte ein Forumsteilnehmer.

In jeder Kommune ist es anders

Die Teilnehmer waren sich einig, dass eine differenzierte Vorgehensweise notwendig ist, leider werden immer noch Lösungsansätze aus vornehmlich städtischen Problemlagen entwickelt, die den Verhältnissen in den Regionen aber nicht genügend gerecht werden.
Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen einer stärken Differenzierung Rechnung tragen. Wachsende Städte haben völlig andere Probleme, zum Beispiel im Bereich Migration, Bildung oder Wohnungswirtschaft als schrumpfende Kommunen.
Prognosen hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung sind hilfreich, sollten aber immer wieder aufgrund sich veränderter Lebenslagen der Menschen überprüft werden.

Infrastruktur entscheidend und nicht mehr die Größe der Kommune

Ein besonders Augenmerk ist auf die Infrastruktur zu legen. Hier geht es insbesondere um einen adäquaten Umbau bzw. Rückbau. Die von Länderseite zur Verfügung gestellten Infrastrukturmittel müssen stärker auf die kommunale Ebene herunter gebrochen werden. Die Infrastrukturen sind ein entscheidender Baustein bei der Frage, ob der demografische Wandel positiv bewältigt werden kann.
Auch müssen die Maßstäbe der Finanzierung neu austariert werden. Weniger Einwohner darf nicht automatisch weniger Einnahmen bei den Finanzzuweisungen bedeuten.

Neue Grenzlinien – nicht mehr zwischen Kommunen sondern Infrastrukturen

Künftig gehen die Grenzlinien nicht mehr zwischen großen und kleinen Kommunen, sondern zwischen den verschiedenen Infrastrukturen wie Netzwerke (Straßen, Breitband, Energie), Bildungs- und sozialen Sicherungssystemen.

Auch schrumpfende Kommunen können einen Zugewinn an Lebensqualität haben

Jens Korn, Bürgermeister der fränkischen Stadt Wallenfels zeigte in der Debatte auf, wie ein intelligenter Rückbau von Infrastrukturen möglich ist. Die Stadt Wallenfels hat in den vergangenen 40 Jahren rund ein Viertel der Einwohner verloren. Früher wurde die Hauptschule des Ortes von 600 Schülerinnen und Schülern genutzt, heute sind es nur noch 76. Darauf hin wurde das denkmalgeschützte Schulgebäude in ein „Bildungszentrum Wallenfels“ umgebaut. In dem Bildungszentrum sind neben der Grundschule die Kinderkrippe, der Kindergarten, der Kinderhort, die Bücherei und die Musikschule untergebracht. Zudem werden im Bildungszentrum auch Kurse der Volkshochschule veranstaltet. Der Ort hat durch diese Neuausrichtung an Attraktivität gewonnen, was wiederum dazu beiträgt, weitere Abwanderung zu verhindern.

Mehr Experimente notwendig und mehr interkommunale Zusammenarbeit

Die Infrastrukturausstattung muss sich künftig stärker an den unterschiedlichen Not-wendigkeit und Funktionen in der einzelnen Kommune orientieren.
Eingefordert wurden von den Teilnehmern auch mehr Experimentierklauseln. Die Länder verhalten sich hier außerordentlich restriktiv. Gleiches gilt für die Flexibilisierung von Standards. Unterschiedliche Gegebenheiten müssen auch unterschiedlich angegangen werden.
Der demografische Wandel verlangt nach mehr interkommunaler Zusammenarbeit. Ein Allheilmittel ist dies allerdings nicht. Wichtig ist es, für mehr Identität in den Orten zu sorgen. Bürgerinnen und Bürger müssen sich wohlfühlen können, dann sind sie auch zum besonderen Engagement bereit, sich bei der Entwicklung ihrer Kommune zu engagieren.
Eine auskömmliche Breitbandversorgung ist für die Zukunft der Kommunen von überragender Bedeutung.
Nach Auffassung der Teilnehmer geht es jetzt um die praktische Ausrichtung der lokalen Politik auf die Erfordernisse des demografischen Wandels. Das kann nur individuell geschehen.

Weitere Artikel

Nachrichten und Kommentare zur Modernisierung und Digitalisierung des Public Sectors. Pointiert – Informativ – der Zukunft gewidmet. Wir müssen unsere politischen Strukturen reformieren.