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Vom nationalen Flüchtlingsmanagement zum kommunalen Integrationsmanagement

Expetise für Integrationsmanagement und Soziale Medien: v. l. Dr. Friedrich-Wilhelm Meyer (GEBIT Münster und Vorstand des Beirats "Bildung 2.0"), Dr. Hans-Joachim Heuer (Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung), Franz-Reinhard Habbel (Sprecher des DStGB), Dietmar Kluin (Vorstand Leinerstift e. V.), Sabine Möwes (Leiterin E-Government und Online-Dienste, Stadt Köln), Michael Fedler (Strategische Planung Landkreis Osnabrück), Britta Korfage (Leitung Integration & Ausländer, Landkreis Osnabrück), Kreisrat Matthias Selle (Vorsitzender des Kommune 2.0 e. V.), Werner Hülsmann (Integrationsbeauftragter Landkreis Osnabrück)
Expetise für Integrationsmanagement und Soziale Medien: v. l. Dr. Friedrich-Wilhelm Meyer (GEBIT Münster und Vorstand des Beirats „Bildung 2.0“), Dr. Hans-Joachim Heuer (Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung), Franz-Reinhard Habbel (Sprecher des DStGB), Dietmar Kluin (Vorstand Leinerstift e. V.), Sabine Möwes (Leiterin E-Government und Online-Dienste, Stadt Köln), Michael Fedler (Strategische Planung Landkreis Osnabrück), Britta Korfage (Leitung Integration & Ausländer, Landkreis Osnabrück), Kreisrat Matthias Selle (Vorsitzender des Kommune 2.0 e. V.), Werner Hülsmann (Integrationsbeauftragter Landkreis Osnabrück)

Keynote von Franz-Reinhard Habbel, Kommune 2.0-Integrationskonferenz am 22.8.2016 in Osnabrück
Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr sind 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die meisten davon waren Syrer. Im November war mit 206.000 Asylsuchenden in einem einzigen Monat der Höhepunkt erreicht, seither sinken die Zahlen. Hauptgrund ist die geschlossene Balkanroute. Zuletzt kamen 16.000 Menschen im Monat. Wie die Entwicklung weitergehen wird, weiß niemand. Das Flüchtlingsproblem lässt sich nicht mit einem Knopfdruck abstellen.

Starke Zivilgesellschaft

Die Herausforderungen sind gewaltig. Aber die Suche nach Lösungen bringt auch Neues mit sich. Damit sollten wir mutig und offen umgehen. Besonders deutlich wurde in den letzten Monaten ein neues Zusammenspiel zwischen Staat, Kommune und Zivilgesellschaft. Etwa 1 % der Bevölkerung packte an und kümmerte sich um die Probleme der Flüchtlinge. Das waren fast so viele Leute, wie alle politischen Parteien zusammen an Mitgliedern haben.
Das Zauberwort hieß Improvisation. Jetzt hat sich manche Lage geklärt. Immer öfters wird ein organisatorischer Rahmen geschaffen. Der Prozess der Professionalisierung und Formalisierung zeigt erste Wirkungen. Viele Flüchtlingshelfer, die sich engagiert haben, fragen aber auch: was nun? Werden wir noch gebraucht? Was können wir noch tun?

Herkulesaufgabe Integrationsphase

 
Die Hilfe rückt jetzt in eine neue Phase und diese Phase ist die eigentliche Herkulesaufgabe der Kommunen. Wir können das schaffen! Die Voraussetzungen sind gut – wir haben in den Kommunen clevere Leute, neue Technologien und eine Stärke, aus der wir Glaubwürdigkeit und Vertrauen schöpfen können. Was wir jetzt brauchen ist eine kluge Politik und ein kluges Vorgehen in der Verwaltung! Nach der Ankommens- und Registrierungsphase  geht es jetzt um die Phase der Integration. – Integration ist der entscheidende erfolgskritische Faktor schlecht hin und ein relevantes Thema für das Land – Nicht die Zahl der Mitarbeiter in der Verwaltung ist für diese Aufgabe entscheidend, sondern wie wir die Integration organisieren, wie klug wir vorgehen
Ein wichtiger Baustein ist das Bundesintegrationsgesetz: Es ist am 6.8.2016 in Kraft getreten, die kommunalen Spitzenverbände haben hier entsprechende Vorschläge unterbreitet. Ein wichtiges Merkmal ist die Wohnsitzzuweisung. Hier sind besonders die Länder gefordert.
Ein weiterer wichtiger Baustein sind die Integrationszentren oder die Integrationsprozess-Points. Um es noch einmal klar zu machen: Integration setzt dort an, wo die Menschen ein Bleiberecht haben. Nicht anerkannte Flüchtlinge müssen das Land wieder verlassen. Dabei müssen wir uns auch im Klaren sein, dass ein Teil der Menschen wieder in ihre Heimat zurückkehren wird, wenn die Verhältnisse sich dort ändern.
Gelungene Integration heißt auch sie so zu qualifizieren, dass sie z.B. beim Wiederaufbau der Infrastrukturen in ihrem Land einen wichtigen Beitrag leisten können.

Drei Ansätze zur erfolgreichen Integration

Meine erste These: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren aus Kommune, Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft und vor allen Dingen mit den Flüchtlingen. Wir brauchen aber auch mehr Zusammenarbeit in wichtigen Politikfeldern wie Bildung, Sicherheit, Gesundheit und Mobilität. Integration darf nicht mit 16 verschiedenen Geschwindigkeiten ablaufen.
Meine zweite These: Jedes Konzept, jegliches Handeln, jegliche Organisation muss konsequent vom Nutzer, also vom Flüchtling her gedacht und umgesetzt werden. Das fällt uns oft schwer. Was bedeutet das für mich als Flüchtling? Wo kann ich lernen? Wo kann ich eine Ausbildung finden? Wie lerne ich die Gesellschaft kennen? Wo kann ich mich engagieren? Wo kann ich neue Freunde finden? Allerdings müssen wir realistisch an die Aufgabe herangehen: Flüchtlingspolitik ersetzt nicht die Einwanderungspolitik.

Meine dritte These: Ein wichtiges Instrument der Integration heißt Digitalisierung. Der Zugang zu Informationen wird dadurch beschleunigt – notwendige Kollaboration wird vereinfacht. Damit verbunden ist ein hoher Grad an Individualisierung, an Flexibilität, an Ganzheitlichkeit und Vernetzung. Das soziale Kapital der Gesellschaft kann durch digitale Instrumente wie z.B. soziale Netzwerke für die Integration besser identifiziert und nutzbar gemacht werden. Nicht nur für die Registrierung, auch für die Integration brauchen wir eine dezentrale und zentral nutzbare Datenhaltung.

Wie soll das alles gehen?

Neue Wege sehe ich zum Beispiel in einer virtuellen Integrationsbehörde die sich aus klassischen Behörden, NGOs und weiteren Einrichtungen bis hin zur Bürgerinitiativen zusammensetzt. Dabei geht es nicht um eine neue Behörde im klassischen Sinne! Es ist eher um eine Art 115 für Integration – wo die Dinge zusammenlaufen.

Faktenbasierende Politik

Einen solchen neuen Ansatz werden wir aber nur angehen können, wenn wir uns neuen Realitäten anpassen. Das gilt auch für die Politik. Notwendig ist eine stärkere „evidenzbasierte Politik“. Das bedeutet die Faktenlage ist entscheidend  – es gilt, sich auf Fakten zu verständigen und dann entsprechende Ableitungen zu treffen. Aufgrund der Faktenlage müssen wir Fragen stellen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen: Wie gelingt es uns, die Menschen die hier bleiben – sei es auf Dauer oder für eine längere Zeit – in die Gesellschaft und in den Staat zu integrieren? Wie gelingt es uns, die dafür notwendigen Anpassungen der Infrastrukturen zu organisieren?
Wir benötigen 50.000 Kitaplätze, 20.000 Lehrkräfte, 250.000 Plätze für Schülerinnen und Schüler, 350.000 Plätze für Sprachförderung, jährlich 350.000 neue Wohnungen.
Wie gehen wir das an? Wie gelingt es uns, gerade jungen Flüchtlingen eine Perspektive zu geben, ihren Traum der Verfolgung und der Flucht weitgehend zu überwinden, sich bilden zu können und Arbeit zu finden? Wie gelingt es uns, Wege zur offenen Gesellschaft zu beschreiten, aber gleichzeitig auch Ängste der Menschen vor Veränderung abzubauen und Sicherheit in unserm Land zu gewährleisten?
All das wird nur mit einer neuen Politik gehen. Mit einer Politik, die den Menschen in den Blick nimmt, die Integration als einen ganzheitlichen Ansatz begreift und die konsequent die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die neue Aufgabe der Integration auch zu einer grundlegenden Neuausrichtung der öffentlichen Verwaltung einen zentralen Beitrag leisten wird. Was in einem modernen föderalen Staat möglich ist, haben wir im vergangen Jahr durch die Errichtung des Kerndatensystems im Bund und dem Ankunftsnachweis gesehen.

Politikgestaltung neu ausrichten

Wir müssen jetzt wegkommen von Dauerkonferenzen, auf denen wir uns gegenseitig erklären, was wir alles tun müssen. Jetzt kommt es darauf an, die Dinge zu tun. Für Integration gibt es keine althergebrachten Fachverfahren – hier können wir mit neuen Methoden und Ansätzen ein neues Management-System aufbauen. Neu denken heißt hier das Spiel. Drei Dinge sind hier wichtig: Wir müssen die Bedarfe richtig erkennen, wir müssen Kompetenzen vernetzen und wir müssen Projekte aufsetzen.
Ein entscheidender Baustein hierfür ist die elektronische Akte. Sie eröffnet uns weitreichende Möglichkeiten der Vernetzung. Interessant ist die Erkenntnis, dass bei der elektronischen Aktenführung die Umweltämter führend sind, sie haben ihre Behördenstruktur vor einigen Jahren neu aufbauen müssen, es gab keine Altstrukturen, vielleicht ein Beispiel auch für die jetzt anstehende Integration, mehr Vernetzung zu wagen. Die elektronische Akte erlaubt auch einen Self Service (Beispiel Ryanair). Fast alle Flüchtlinge verfügen über ein Smartphone, auch dieses ist als Instrument gut für die Integration einzusetzen. Insgesamt brauchen wir aber auch mehr Wettbewerbselemente. Das können zum Beispiel auch Bewertungen sein.

Online-Plattforum für Integration

Der Kern der von mir angesprochen virtuellen Behörde ist eine „Online-Plattform für Integration“. Alle Informationen und Dienste laufen auf der Plattform zusammen. Behörden – beteiligte Hilfskräfte – Wohlfahrtseinrichtungen – Institutionen – Private Hilfskräfte – aber auch der Flüchtlinge selbst – Kollaboration heißt das Stichwort.
Es geht um einen ganzheitlichen Life-Cycle „Flucht-Asyl-Migration“, gegebenenfalls Rückkehr. Notwendig ist ein ganzheitliches Management welches den Zugriff von jeglichen Beteiligten mit entsprechenden Rechten und ganzheitlich über Bund, Länder und Kommunen hinweg aus einem Guss managed.  Auf der Plattform werden die von den Flüchtlingen erworbenen Qualifikationen ständig fortgeschrieben, bzw. Defizite angegangen. Der Bleibeberechtigte steht im Mittelpunkt der Betrachtung
Einen breiten Raum muss ein Online-Self-Service in Anspruch nehmen, damit wird auch dem Grundsatz Fördern und Fordern Rechnung getragen. Das System muss in der Lage sein, Daten von Flüchtlingen aufzunehmen und zu verarbeiten, aber auch Einzelvereinbarungen zur Integration ausdrucken zu können. Weiteres Merkmal ist ein individueller Fortschrittsbericht, der für die weitere Qualifizierung und Unterstützung des zu Integrierenden eine wichtige Grundlage darstellt. Für weitergehende Kommunikation der Behörden untereinander ist auch ein Wissensmanagement wie zum Beispiel beim einheitlichen Behördenruf 115 umgesetzt, aufzubauen. Hier sollte sich der Bund engagieren.
Die Onlineplattform für Integration muss auch die lokale Wirtschaft mit einbinden. Das ist ganz entscheidend. Insbesondere sollten auch hier besonders Gründungen gefördert werden. Viele syrische Flüchtlinge waren in ihrem Heimatland selbstständig und wünschen sich ähnliche Möglichkeiten auch in Deutschland. Bereits vorhandene Gründungsplattformen im Internet sollten wir dafür nutzen und ein entsprechendes Beratungsangebot im Netz aufbauen. Hier sollte man klein anfangen. So könnten beispielsweise auch Reparaturwerkstätten mit Hilfe von freiwilligen Helfern aufgebaut werden. Solche Beispiele gibt es schon in Nordhorn. In anderen Städten werden Flüchtlingspaten vermittelt. Nordhorn hat hier gerade ein Patenprogramm angekündigt.

Fazit:

Die große Herausforderung der Integration ist aber nicht die Frage ob wir genügend Wohnraum, Sprachkurse und Bildungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge finden. Gleiches gilt auch für die Arbeitsplätze. Die entscheidende Frage wird sein, wie es uns gelingt, Freiheit durch Offenheit und Demokratie in der Gesellschaft  zu erhalten und fortzusetzen. Wie schaffen wir es, unsere Werte zu vermitteln, Respekt, Toleranz und Achtsamkeit als Basis unserer Gesellschaft zu sehen? Gelingt es uns, gemeinsam mit Flüchtlingen zum Beispiel Firmen zu gründen und aufzubauen? Wie gelingt es uns, Globalisierung und Identität zusammen zu führen, ohne dass das eine das andere dominiert? Schaffen wir es, auch ein Marketing für Demokratie – auch als weltweites Exportgut zu entwickeln? Wer kümmert sich darum? Welche Rolle spielen hierbei Digitalisierung und Vernetzung wie zum Beispiel soziale Netzwerke?
Diese Herausforderungen sind weit größer. Menschen wachsen an ihren Aufgaben. Politik bleibt spannend. Was wir nicht aus den Augen verlieren dürfen, sind die Verhältnisse in den Bürgerkriegsländern. Unsere Augen dürfen wir davor nicht verschließen. Auch hier ist ein stärkeres politisches Engagement gefordert. Mehr als 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Wirtschafts- und Klimaflüchtlinge werden dazukommen. Das wird auch unsere Städte Kreise und Gemeinden weiter herausfordern. Migration ist ein weltweites Thema.
 

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